Einen guten Journalisten erkenne man daran, dass er sich mit keiner Sache gemein mache, auch nicht mit einer guten. Das wird Hajo Friedrichs zugeschrieben. Ein Blog namens „Übermedien“ hat darüber mal einen Text verfasst, denn es ist nicht ganz so direkt von ihm gesagt. Für den Gegenstand dieses Textes ist das aber völlig egal, da den Spruch fast jedermann, der über Journalismus etwas zu wissen glaubt oder sein Anliegen nicht ausreichend repräsentiert sieht oder beides zusammen, ihn gern verwendet. Mitunter, so mein Eindruck, kommen sich Menschen, wenn sie den Spruch verwenden, ganz besonders klug vor. Mit anderen Worten: Sie verwenden ihn in belehrendem Ton.
Dabei ist der Spruch vollkommen blödsinnig. Journalisten sind Menschen und wie alle Menschen machen sie sich ständig mit irgendwelchen Sachen, Thesen, Angelegenheiten, Meinungen „gemein“, mal mehr und mal weniger. Und wenn sie eine These strikt ablehnen, dann sind es ganz logisch die Gegenthesen, die sie unterstützten. Gerade in gesellschaftlichen Zusammenhängen hat wohl kaum jemand die Vorstellung eines Vakuums.
Sich „mit etwas gemein machen“ hat einen abwertenden Klang. Das lässt den dummen Spruch klug klingen, solange er nicht durchdacht wird. Einen guten Journalisten mache aus, dass er nie von etwas begeistert ist, dass er nie von etwas überzeugt ist, dass ihm nie etwas gefällt — das würde wohl niemand sagen. Es sei denn, man stellt sich einen Roboter vor.
Und selbstverständlich wirkt sich die Vorkenntnis des Journalisten auf die Berichterstattung aus. Die Wortwahl, die Gewichtung der Nachrichten untereinander, die Entscheidung, ein Thema überhaupt zu behandeln oder nicht, all dies wird übermitteln, was der Journalist zu der Sache fühlt. Und da ist es mir lieber, der Rezipient weiß, woran er bei dem jeweiligen Publizisten ist, auch wenn dies ihm den Aufwand nahelegt, die Informationen von Kollegen gegenteiliger Meinung ebenso in Betracht zu ziehen.
Wer sich ausgewogen, neutral oder objektiv gibt, manipuliert mit Vorsatz oder aus Versehen, also in Unkenntnis der eigenen Psyche.
Wo ist die Waage des Ausgewogenen und was misst sie? Was kommt in die Waagschale und was nicht? Wie lautet noch mal der ph-Wert des Lebens? Sieben? Also neutral? Oder neun, leicht basisch? Oder doch eher zwei, also ziemlich sauer?
Die Forderung nach Ausgewogenheit und Neutralität birgt auch eine Gefahr. Es werden schnell zwei Thesen, zwei Positionen gegenüber gestellt, und die eine hat Bedeutung, die andere eher nicht. Und schon ist aufgewertet, was die Aufwertung nicht verdient.
Ein Journalist, der „objektiv“ berichtet, wäre sozusagen im Besitz der objektiven Wahrheit. Alle Achtung! Also so eine Art Gott. Die Forderung nach „objektiver“ Berichterstattung ist so ziemlich das Dümmste, was ich jemals an meinen Berufstand gerichtet hörte.
Nun mag man mir entgegen halten, da stehe sogar im Medienstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein entsprechender Passus. Ich erinnere: Das ist der Apparat, der mit „Rundfunkbeitrag“ und Werbung jedes Jahr etwa 10 Milliarden Euro „umsetzt“.
Wörtlich heißt es im § 26, Absatz 2 der Fassung von 2023:
Grundsätze zu achten heißt aber (leider) nicht, dass sie diese Ziele zu 100 % erreichen. Nur Meinungsvielfalt wäre leicht umsetzbar.
Den guten Journalisten macht aus, dass er immer wieder nach Argumenten gegen seine Überzeugung sucht. Mit anderen Worten: Er ist offen für Neues. Das kann auch in der Absicht geschehen, die Gegenargumente widerlegen zu können. Und wenn er es nicht kann, dann ändert er seine Meinung und ist eben nicht mehr von der Sache überzeugt, vielleicht, weil ihm ein größerer Zusammenhang aufgefallen ist. Viel mehr als nur Sprachgewandheit wäre es daher hilfreich, wenn sich Journalisten (wie Politiker auch) durch einen hohen Grad an Allgemeinbildung auszeichneten. Daran, so mein Eindruck, mangelt es oft.
Warum also wird immer wieder von Neutralität, Ausgewogenheit, Objektivität und so weiter im Journalismus fabuliert? Denken Sie selbst!